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Generation 30: Heiraten? Ja, ok. Hab‘ ja sonst nichts mehr vor

Ein weisses Kleid kann man auch ohne Bräutigam tragen. Hochzeitskranz sponsored by Mama, Schuhe inspired by current mood

Ich weiß, was ich letzten Sommer getan habe. Ich weiß, was ich diesen Sommer tun werde.

Nicht heiraten. Keine Kinder kriegen.

„JA“ sagen, das tut gerade jeder. Mir kommt das vor wie ein Trend: Das Alter beginnt mit ja schon mit einer 3. Die Freunde heiraten, also tut man das auch. „Was soll denn auch sonst noch kommen?“, fragen die Heiratswütigen. Willkommen in der Generation 30.

Sie verlangen so wenig vom Leben, sehen nur das, was vor ihnen liegt. Nicht die Ferne. Sie könnten auswandern. Endlich ein Buch schreiben. Ausmalen, was sie alles sein können. Leute, wir haben doch noch so viel Zeit!

Stattdessen sitzen sie im Garten ihrer Eltern. Bauen nebenan. Übernehmen Papas Zahnarztpraxis. Am Wochenende erzählen sie ihren Schulfreunden dieselben Geschichten wie vorige Woche. Seit zwanzig Jahren.

Bis jetzt, denn: Hochzeit. Action. „JA“, endlich passiert was.

Auch die, die jahrelang fremd gegangen sind, nie in der Kirche waren, sündig statt fromm, stehen jetzt vorm Altar, stehen jetzt vor Gott. Weißes Kleid, weiße Weste. Der Trauschein attestiert, dass das alles nicht gewesen ist.

GLAUBE. LIEBE. HOFFNUNG.

Sie GLAUBEN daran, dass sie durch das Wort Ehe LIEBES-Beziehungen anders führen. HOFFEN, unter dem Deckmantel der Kirche geht das. Holy shit, ich falle vom Glauben ab.

JA, ich will. Ich will lieben. Ich will heiraten. Ich will Mama sein. Vielleicht will ich nach meiner Hochzeit auch neben meinen Eltern bauen.

Bis es soweit ist, fahre ich im Sommer ans Meer.

Und wenn es soweit ist, habe ich meinen Kindern eine Menge zu erzählen.

  

Ich male mir meine Zukunft aus Punkten und nenne mich Monet

Ich male mir meine Zukunft aus Punkten und nenne mich Monet

Punkt bedeutet Ende. Ich finde aber, aus vielen Punkten kann man einen schönen Anfang malen

Umzingelt von vier weißen Wänden. Sie erzählen nichts und wollen so viel.

Ich sitze in meiner Wohnung.

Statt Sommer ist wieder Herbst, und mir ist kalt. Die Gedanken werden grau.

Jetzt sind auch die Wände grau. Und kommen immer näher.

Sie sind schwarz. Da.

Ich zwänge mich durch den engen Spalt, flüchte nach draußen in die Berliner Nacht. Luft. Klarsehen, klar denken.

Aber hier ist es nicht heller. Hier ist es nicht bunter. Hier ist es so … Berlin. Und Berlin ist ein Monet. Von Nahem betrachtet ein einziges Chaos.

Auszug Revaler Straße:

Kaputte Bierflaschen auf dem Boden. Ich sehe: Grün, Weiß, Braun.

Drei Dealer, die mich anquatschen. Ich höre: Marihuana. Koks. MDMA.

Ein Paar, das sich küsst. Wenigstens das. Ich stelle mir Comic-Sprechblasen vor. SCHMATZ. SCHMATZ. SCHMATZ.

Pop-Art im Impressionismus. Roy Lichteinstein trifft Monet. Dit is Berlin. Und ich mittendrin. Aber in der Liebesszene bin nicht ich die, die der Mann küsst. In Lichtenstein-Sprache: URGH!

Ach, mein Berliner Leben, ich mach jetzt einfach selbst Kunst aus dir! Male mir mein eigenes Bild. Bin mein eigener Monet. Das geht so: Punkt. Punkt. Punkt. Einer neben dem anderen. Punkt bedeutet Ende. Setzt man alle Punkte aber nebeneinander, entsteht irgendwann ein Anfang. Mein Anfang.

Nur sehe ich das noch nicht. So ist das eben mit einem Monet. So ist das eben mit mir und meinem Berlin. Ist man mittendrin, erkennt man das große Ganze nicht, verliert sich in unwichtigen Details.

Also mache ich mich auf den Heimweg. Das Bild nehme ich mit, hänge es zu Hause an meine vier weißen Wände. Sie sind jetzt bunt. Erzählen viel. Ich gehe einen Schritt zurück und höre zu.

Abfahrt. Ohne mich.

 

Sitzengelassen by Tom Kielhorn

Sitzengelassen by Tom Kielhorn

 

An Tagen wie diesen verfluche ich die Welt, die nicht meine ist. Zug verpasst. Fehlstart in den Tag.

Tagelang nicht mein Tag.

Also mache ich das, was ich am besten kann: Ich weine. Ich sitze heulend am Bahnsteig. Und alle halten mir Taschentücher unter die Nase, fragen, ob sie helfen können. NEIN! Ich will, dass sie mich alleine lassen. Denn das bin ich. Und darum geht es eigentlich. Und daran können sie nichts ändern. Es geht mir nicht im Moment schlecht, sondern generell. Und da nützt kein Tempo. Aber ich nehme trotzdem eins. Danke. Für nichts.

Alle sind verliebt, denke ich jetzt in meiner Wut. Ständig verliebt. Immer frisch. Immer neu. Immer rosarot. Statt wie bei mir immer blauschwarz. Zack, die nächste. Ersetzt. Peng. „Der Platz neben mir ist noch frei“, sagen sie. „Ach, hallo“, und weiter geht die Fahrt. Nur bei mir nicht.

Ich sitze auf dem Bahnsteig und winke denen im Partyzug der Liebe zu. Ich sitze draußen mit Ticket und Tempo in der Hand, tschöö! Darf nicht mit. Die da drin, ich da draußen. Ich heule weiter, weil ich in diesem Moment einfach nichts anderes machen kann. Ich würde mich gerne wie ein Kind auf den Boden werfen, mit den Händen auf den Asphalt trommeln und einfach laut los schreien. AAAHHH! Bis, wie damals, Mama kommt, mich in den Arm nimmt, und sagt: „Es wird alles gut.“ Aber es wird nicht gut. Es wird nie gut. Denn es kommt ja nie jemand.

Also weine ich weiter und weiter und weiter, und weiß nicht, wann das enden soll.

„Ach Kleene, der nächste Zug kommt doch gleich“, sagt ein älterer Herr neben mir und hält mir ein Tempo hin. Er lächelt. Ich nehme es, heule und schnäuze. Und lächle auch. Ein bisschen.

Ich stehe auf. Und geh‘ zu Fuß.

Sie ist die verdorbene Sahne auf meinem Schokoeis 

Ich schaue sie mir an und verstehe es wirklich nicht.

Die Frau ist kleiner als ich, deshalb kann ich ihr auf den Kopf schauen. Sie hat fettige Haare. Braun. Kurz. Nur kurz in Mode gewesen: Mireille Mathieu. Das Kleid sieht aus als wäre es von der Queen. Nicht royal. Noch nie in Mode gewesen. Nur Elizabeth II. kann und darf das tragen.

Ihr Gesicht ist aufgequollen, sie sieht alt aus. Die Neue von dir, meiner alten Liebe. Ich erfahre: sie ist jünger, angeblich genauso groß wie ich, und das in ihren Haaren sei Gel. Das Kleid stehe ihr übrigens total toll. Findest du.

Ich versuche sie ganz neutral zu betrachten. Nicht als die Neue, die das hat, was ich will. Dich. Sondern als ganz normale Frau. Es hakt. Es hakt an den Pfennigabsätzen, dem Bauchansatz, der Brille trotz Sehstärke.

Was um Himmels Willen findest du an ihr? Warum sie, nicht mehr ich?

Wenn Bilder schmecken würden, wäre sie die verdorbene Sahne auf der Kugel Schokoeis. Du bist Schoko.

Doch schmeckt die Sahne nicht, schmeckt die Kugel auch nicht mehr. So ist es mit dir. Das Eis ist verschmolzen. Alles sauer jetzt.

Sie hat dich downgegradet.

 

Nach Monaten Schockstarre sehe ich endlich klar. Nichtmehr blauschwarz, nicht mehr rosarot.

Erinnerung an uns weg. Sie immer noch da. Was ich jetzt sehe: ein Paar, das besser nicht zusammenpassen könnte. Sie trägt immer noch dieses „Gel“ in den Haaren. Du jetzt auch – in den Strähnen, die Dir geblieben sind. Oder sahst Du immer schon so aus?

Gott, war ich verliebt. Gott, war ich blind. So wie er jetzt.

 

Wir tanzen zu dem Beat vom längst vergessenen Liebeslied

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Blackbox. Darin tanzen wir. Immer und immer wieder zu demselben Song

Ich flirte, ich lache, ich tanze. Eigentlich geht‘s mir gut. Im Leben generell. Auf dieser Feier speziell. Doch dann kommt dieses Lied.

Unser Lied.

Zu dem WIR gelacht, WIR getanzt haben. In der Küche beim Mehlknödelkochen, auf dem Sofa beim Omas Chenet-Wein süffeln.

„You are like the sun. And I am earth. Together we are one“.

Ich bin mit vielen auf der Tanzfläche. Aber plötzlich allein. Durchs Ohr ins Herz: Seitdem Du weg bist, bin ich nichts mehr. Ein einsamer Stern, völlig losgelöst, der planlos im Weltall schwirrt. Oder auf der Tanzfläche. Erlischt. Alone you are nothing. Aber das singt die Band Moving Mountains nicht.

Weitertanzen. Links, rechts. Wie damals in der Küche beim Mehlknödelkochen.

Im Takt bleiben. Dann merkt niemand, dass der Kloß in deinem Hals immer größer, die Krokodilsträne in deinem Auge immer praller wird. Da, da kullert sie. Diese Melancholie ist selbst für sie zu schwer. Sie zieht runter. Wie dieses Lied. Das zieht mich runter. Scheiss Vergangenheit.

Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, wenn wir all diese schönen gemeinsamen Momente nicht erlebt hätten. Dann wüssten wir nicht, was fehlt. Dann wäre Lied Lied, hätte keine Bedeutung. Es wäre einfach nur da. Dann wärst Du Du, hättest keine Bedeutung. Es wäre egal, dass Du nicht mehr da bist.

3:23. Das Lied dauert 4:13 Minuten. Weitertanzen. Links, rechts. Wer macht so einen Song auf einer Feier an?!

Ach ja. Ich. Manchmal zieht es einen eben in die Vergangenheit. Weil in der Gegenwart etwas fehlt. Du.

„You are like the sun. And I am earth. Together we are one.“

Ich tanze weiter. Links, rechts. Bald hört es ja auf.

Das Lied.

Verdammt. Repeat.