Das erste Silvester ohne ihn

 

Soho House Berlin


Am 1. Januar wären sie fünf Jahre zusammen. Wäre da vor ein paar Wochen nicht der 3. November gewesen.

Sie weiß genau, wie er war. Dieser Tag vor fast fünf Jahren. Sie wollte nicht zu der Silvester-Party, auf der sie drei Stunden stumm neben Sarah saß.

Teil 1 des Freundinnen-Deals: Sie musste mit niemandem sprechen. 2011 war nicht ihr Jahr. Ihr war nicht nach reden, nicht nach feiern.

Teil 2 des Freundinnen-Deals: 2011 verabschieden, um 2012 begrüßen zu können. Zumindest müsse sie es versuchen. Sie kannte niemanden und so sollte es auch bleiben.

Bis er sich neben sie setzte. Er redete auf sie ein, ließ sie nicht gehen. Er hielt sie fest. Fast fünf Jahre lang.

Am 1. Januar wären sie so lange zusammen gewesen. Wäre da vor ein paar Wochen nicht der 3. November gewesen.

An dem sie nicht an das denkt, was schön war, sondern an das, was sie nicht mehr will. Dass er nie mit ihr ans Meer fährt. Dass er sie nicht mehr ansieht wie früher. Dass er nicht mehr sagt, dass er sie liebt.

An Silvester muss sie kurz an dieses Silvester von damals denken. Sarah ruft an. „Ready für heute Abend?“ Ja. Sie kommt mit. Sie will aber mit niemandem sprechen. Sarah sagt, das ist okay. Deal.

Sarah wusste, dass er sich dieses Jahr nicht neben sie setzen wird, sie nicht festhalten wird. Nicht an diesem Abend, nicht die nächsten fünf Jahre. Er ist mit seiner Neuen über die Feiertage ans Meer gefahren. Aber das sagt sie nicht. Nicht mehr in diesem Jahr.

Sie soll 2016 verabschieden, um 2017 begrüßen zu können. Zumindest müsse sie es versuchen. 

Männer, die zu faul für eine Beziehung sind

 

salvation mountain, loveletter

Auf einen Liebesbrief von Mr.Lazy kannste lange warten (Foto: Salvation Mountain Kalifornien)

Es gibt Männer, die eine Freundin haben, die allein reicht ihnen aber nicht. Dann gibt es Männer, die wir wollen, die uns aber nicht. Dann gibt es die, die uns wollen, wir sie aber nicht. Kompliziert.

Noch komplizierter: Denn dann gibt es noch diese Spezies hier: die Männer, die zu faul für eine Beziehung sind.

Sie lassen einen wissen, dass sie gerade in deiner Stadt sind. Sie schreiben: „Hey, ich bin ganz in deiner Nähe.“ Nennt mich verrückt, aber eine Reaktion könnte doch sein: „Cool, dann treffen wir uns!“

Falsch. Die Prognose ist zu futuristisch. Zu viel Aktion gefordert. Diese Gruppe Männer lebt nur im Hier und Jetzt, niemals in der Zukunft. JETZT fiel ihm ein, dass er eine Frau in der Stadt kennt, in der er gerade ist, Berlin. Das verfasst er in einer Whatsapp-Nachricht. 3,2,1. Versendet. Mitteilung weg, Gedanke an die Frau weg. UND DAS WAR’S. Mehr wird nicht passieren. Auf dieses crazy Angebot folgt keine Antwort mehr.

Präsens statt Futur. Das Leben von Mr. Lazy ist eine Momentaufnahme. Snapchat statt Polaroid. 10,9,8… weg.

Das ist echt anstrengend. Diese Männer sind sich selbst zu langweilig. Schlafen ein im Gehen. Es ist schon ein Wunder, dass sie es jeden Tag zur Arbeit schaffen. Wobei – wissen wir das so genau?

Und deshalb rechnen wir es ihm umso höher an, wenn er sich mal meldet oder es sogar zu einem Treffen kommt: Weil wir wissen, es ist ein Jahrhundertereignis. Das kommt nicht so schnell wieder. Zugreifen.

Man könnte es einfach sein lassen. Das mit ihm. Hätte man nicht das: dieses eine gemeinsame Foto von diesem einen wunderschönen Tag am See. Man sieht darauf mehr als nur einen Schnappschuss, für uns ist es ein echter Monet. Nix Snapchat. Sogar kostbarer als ein Polaroid. Immer noch nicht verblasst. Ein Gemälde. So viele Punkte an diesem Bild stimmen.

Aufwachen! Rosarote Brille abnehmen! Schauen wir genau hin, entdecken wir die Details: Es ist keine Kunst. Nur die Seltenheit macht das Bild so wertvoll. Nicht seine drei kleinen Lachfalten um den Mund.

Wollen wir jetzt wirklich wieder 1496 Whatsapp-Nachrichten abwarten, bis es zum nächsten gemeinsamen Foto kommt?

Bitte lasst es bleiben! Schickt ihm einen letzten Gruß auf Snapchat. Nach zehn Sekunden gelöscht. 10,9,8… weg. Ciao, das war`s. Vielleicht wird es in drei Monaten gelesen haben. Bis dahin habt ihr ihn vergessen. 

Im Dezember sehen wir die Welt durch eine Milchglasscheibe

Eigentlich ist alles okay. Es ist nur diese eine Zeit im Jahr.

In der es schon um vier Uhr nachmittags dunkel wird. Und gefühlt nie mehr wieder hell. Denn Berlin versinkt im Nebel. Kein Horizont in Sicht.

Wie soll man einen klaren Gedanken fassen, während man im Trüben tappt? Wir sehen die Welt durch eine Milchglasscheibe. Also nichts. Und das, was wir erkennen, ist verschwommen.

Das, was geht. Tipp, tapp, verschwindet, wird immer kleiner, ist gleich außer Sichtweite. Das letzte Jahr im Schnelldurchlauf als Daumenkino.

Das, was kommt. Irgendwo vor uns, erkennen nur die Umrisse, so sehr wir auch die Augen zusammenpressen.

Alles zu weit weg. Vergangenheit und Zukunft.

Und wir sind irgendwo dazwischen. Zwischen November und Januar, zwischen 2016 und 2017. Dezember eben.

Das ist keine Krankheit, sondern einfach nur diese eine Zeit im Jahr, in der wir auf das zurückblicken, was wir erlebt haben, auf das hinausblicken, was uns im nächsten Jahr erwarten könnte.

Wir sind wie ein Kapitän auf unserem Boot, vergessen eins: 360-Grad-Rundumblick. Nicht nur vor und zurück. Delfine links, Insel rechts. Es gibt viel zu sehen. Im Hier und Jetzt. Sogar im Dezember. Wir müssen nur die Sicht ändern.

Also eigentlich ist alles okay.  

Ich zähle vorsichtshalber trotzdem die Tage. Noch fünfzehn. Und hebe den Deckel des Milchglases einen Spalt. Die Sicht wird etwas klarer, volle Fahrt voraus. Egal, wo wir stranden werden. Ahoi.

Wir sind alle der Egon von irgendwem – Warum wir den wollen, der uns nicht will

 

Hey Millhouse, willst du mein Egon sein?


Hey, schau mal das Foto hier. Das Mädel sieht aus wie du – da musste ich an dich denken“, diese Zeilen ploppen auf dem Display meiner Freundin auf.

Bevor ich das Foto sehen kann, dreht sie das Handy um, rollt mit den Augen, redet weiter von diesem einen Kerl, den sie so toll findet, und lächelt wieder.

Seit Monaten ist sie hinter ihm her. Ihr Super-Max. Seit Stunden redet sie von Max. Ich unterbreche sie. „Zeig mir das Bild! Das ist doch von IHM.“ Ihm, dem anderen Kerl, der wiederum seit Monaten hinter IHR her ist. Sie nennt ihn Loser-Egon. Und seit Stunden denkt er scheinbar wieder nur an sie, meine Freundin.

Verrückte Welt. Warum will man NICHT den, der einen will? Warum will man dafür den, der einen nicht will?

Ich frage sie. „Er ist nervig“, sagt sie über Loser-Egon. Über Super-Max sagt sie: „Er fordert mich heraus, es wird nicht langweilig. Er hat sein eigenes Leben, konzentriert sich nicht nur auf mich.“

Ist das nicht genau der Grund, warum Beziehungen scheitern? Dass man nicht mehr im Mittelpunkt steht, sich zurückgesetzt fühlt? „Stell dir doch mal mit beiden eine Beziehung vor“, schlage ich ihr vor.

Aber sie ist in Gedanken schon wieder nur bei Max. „Heute schreibe ich ihm noch nicht, aber morgen. Dann ist es eine Woche her, dass ich ihm geschrieben habe. Dann wirke ich nicht zu needy“, redet sie mehr mit sich selbst als mit mir.

„Wann hat er das letzte Mal geschrieben?“, frage ich.

„Vor einem Monat. Aber das tut nichts zur Sache, er ist sehr beschäftigt“, sagt sie.

„Kann es sein, dass du sein Egon bist?“, frage ich sie.

Zum ersten Mal seit Stunden ist sie kurz still.

Deshalb kommt es auf Tinder nie zum Date

Foto: Stephanie Herbst

 

Uups, i dit it again.

Okay. Einer ist dann doch ganz süß. Ich bin wieder auf Tinder unterwegs.

Ich gebe ihm eine Chance. Er heißt Sven, 32, ist nur zwei Kilometer entfernt. So nah als säßen wir schon nebeneinander an einer Bar.

„Obwohl ich dich schon geliket habe, wurdest du mir immer wieder angezeigt. Das ist doch ein Zeichen, dass wir uns treffen sollten, oder?“, fragt Sven.

Ich will daran glauben, denn der Grafiker aus Kreuzberg sieht sehr sympathisch aus. Normal einfach. Keine Katzenfotos, nix Oberkörperfei im Schnee, keine Selfies mit geliehenen Kindern, um den Oxytocinpiegel (Bindungshormon) der Frauen steigen zu lassen. Einfach  herrlich normal. Zwei Augen, braune Haare, natürliches Lächeln.

Also schreiben wir uns. Kein: „Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?“, „Was machst du gerade?“, „Erzähl doch mal was über dich!“. Denn das wollen wir uns ja face-to-face sagen. Die Gespräche laufen so ab:

Ich, Samstag; „Dienstag?“

Er, Mittwoch: „Oh sorry, jetzt erst gesehen. „Donnerstag?“

Ich, Mittwoch: ____

Er, Freitag: „Hey, tut mir echt leid. Ich will es wieder gut machen.“

Ich, Montag: „Ja, ok. Sag an.“

Er, Dienstag: „Morgen.“

Ich, Dienstag: „Ok, wann und wo?“

Er, Dienstag: ____

Er, Mittwoch: ____

Er, bis heute: ____

Oh, jetzt kommt was: „Liebe Evelyn, nimm’s mir nicht übel, aber mir wird das gerade alles ein bißchen zu viel. Wenn du magst, melde ich mich einfach bei Gelegenheit bei dir. Hab‘ einen tollen Tag.“

Dahinter noch ein fettes, rotes Herz. ❤️.

Liebe.

Jaja…

Männer mit Freundin

 

 

Da gibt es diese Männer. Die sind immer da. Aber nie so ganz.

Denn sie haben eine Freundin.

Sie rufen an, schreiben, treffen sich mit dir. Sie wollen immer wissen, wie es geht. Fast schon könnte man meinen, sie mögen dich. „Ich mag dich“, sagen sie. „Aber ich habe eine Freundin.“

Aber damit weißt du nichts anzufangen.

Also geht es weiter wie immer. Freunde. Ihr trefft euch, küsst euch nie. Und doch seid ihr euch näher als ihr je einer anderen Person wart. Du scrollst durch deinen Whatsapp-Chat und 2368 geteilte Medien. Auch wenn ihr nicht zusammen seid, habt ihr jeden Moment geteilt.

Als er seine elektrische Zahnbürste zum ersten Mal testete und so viel Schaum vor dem Mund hatte, dass er ihn per Schnappschuss mit dir teilen musste. Als er auf der Straße ein kleines Mädchen sah, das einen Einhorn-Rucksack trug. „Bist du das?“, lautet die Bildunterschrift.

Dann kommt es raus. SIE sieht das Foto und 7699 Nachrichten und macht Schluss. Und du fragst, ob du nun seine Freundin bist. „Nein, ich will sie zurück. Aber bitte bleib, sonst bin ich ja ganz allein.“

Du tust das, was du schon längst hättest tun müssen, du gehst. Er weint. Du bist verwirrt.

Die Alte wird seine Neue und er löscht dich bei Facebook. Das wollte sie so. Vertrauensbeweis. Jetzt schreibt ihr euch ohne Facebookfreundschaft, ohne dass bei Whatsapp der Name des anderen erscheint.

Nur die Nummer. Die hat sich in deine Augen gebrannt. Immer wenn sie auf dem Display erscheint, schreckst du zusammen. Wird es das letzte Mal sein?

Aber es klingelt immer wieder.

Tinder: Wischen für eine bessere Welt – was weg muss, muss weg!

Radar an – wieder auf Empfang

David, 28, 19.05 Uhr: Schöhne Schuhe. Jan, 31, 19.12 Uhr: Sexy Augen. Steffen, 34, 19.45 Uhr: Wann Date? Dann kommen da noch Ryan, 33, 20.02 Uhr: Hey. Lucas, 35, 20.07 Uhr: Na? Und Sven, 29, 21 Uhr: sup girl!

Yep, Ich bin ja wieder hier. Yep, in Berlin. Das heißt auch: Ich bin wieder bei Tinder.

Beim ersten Frauenabend ist die App wieder da, und wir wischen weg, was weg muss.
Es geht beim Tindern nicht ums Treffen, sondern um das Vermeiden. Nein, den will ich nicht kennenlernen, der hat eine Frau im Arm, der eine Katze, der steht oberkörperfrei im Schnee. Nein, ich will mit denen kein Matcha in Mitte trinken. Oder Futschi in Friedrichshain.

Es geht um den Moment. Wenn man beim Tindern sieht, wer alles auf der Suche ist, hat man den Drang, zu fliehen. Um die anderen Frauen vor Polygamie-Werner, Katzen-Toni und Schneehasen zu schützen, wischt man. Bis keiner mehr kommt und man sich erleichtert zurücklehnt.

Weg von meinem Display, weg aus Berlin. So fühlt es sich einen Moment lang an. Durchatmen.

Bis die Nachrichten derer kommen, die normal und sympathisch aussehen. Trefferquote 3 aus 100. Gefühlt.

Überraschung: Doch Aussehen ist halt nicht alles. Auch Rechtschreibung, schreibe ich David um 21.22 Uhr. Und auf plumpe Anmachen stehe ich gar nicht. Meine Augen sind grün, nicht sexy und sehen dich jetzt ganz klar. Nein, ich will keine Bettgeschichte, schreibe ich Jan um 21.23 Uhr.

Wann Date? Nie. Nö, darauf antworte ich nicht.
Hey. Na? sup girl!
Ho. No? gjhv lußß!