Um diese Frage zu beantworten, mache ich mich auf die Suche nach ihr.
Ich sammle 1. Definitonsversuche, blättere 2. in Psychologiebüchern, lese 3. alte Liebesbriefe.
1. Liebe stammt von dem mittelhochdeutschen Wort liep, was Gutes, Angenehmes, Wertes bedeutet. Sie ist die stärkste Zuneigung und Wertschätzung, die ein Mensch einem anderen entgegenzubringen in der Lage ist. Aha.
2. Liebe als emotionale Reaktion meint, dass der Liebende durch die Präsenz eines bedeutsamen alter Ego eine wiederkehrende Gefühlsregung multipler Art erlebt. Sie zeugt von der Höchstrelevanz des anderen für die eigenen Ziele und Bedürfnisse und signalisiert eine Handlungsbereitschaft in Richtung des Aufbaus einer intimen Bindung. Oho.
3. “Liebe Evelyn, ich werde immer für Dich dasein.” Einen Monat später ward er nie mehr gesehen. Nun ja.
So viel zur Theorie. So komme ich nicht weiter. Die Liebe steckt nicht in Büchern, also rauf auf das Skateboard, rein in die Stadt. Auf meinem Feldzug an einem späten Sonntagmorgen durch Berlin entdecke ich auf der Warschauer Brücke ein junges Pärchen. Er: hängt mehr auf ihr, als dass er sie im Arm hält. Sie: ist mehr verliebt in das Gefühl der nie endenden Großstadt-Feier als in ihn, glaubt, dass das der Abend ihres Lebens war. Beide blicken nicht, dass die längst aufgegangene Sonne ihre Lüge schon durchleuchtet hat. Gefunden im Nachtleben auf der Suche nach sich selbst, zusammen hält beide nur noch der Restalkohol und der Rest rosa Partystaub, der in wenigen Stunden von ihnen abgefallen sein wird.
Das ist die Berliner Party-Touri-Liebe, aber nicht meine.
Ich halte Ausschau nach mehr Beständigkeit, einem Oma-Opa-Paar. Letzte Woche auf dem Weg zur Arbeit habe ich es gesehen. In Kreuzberg. Zwei etwa Achtzigjährige in vielfältiger Grau-Beige-Kombi nach ihrem Einkauf. Er trägt ihre Tüten. Aber nur in der einen Hand, denn in der anderen hält er sie. Zwischen Tüten und Taschen und vermutlich Jahrzehnten gemeinsamer Ehejahre ist immer noch Platz und Zeit um ihre Hand zu halten.
Für mich war dieses Bild alles andere als eine Variation in Grau und Beige, es war das Farbenprächtigste, Lebendigtse, das ich seit Langem gesehen habe. Leider suche ich die beiden heute vergebens.
Ich muss an meine Oma denken. Ich fahre nach Hause, um mit ihr zu telefonieren. Sie sagt, dass bei ihrer Nachuntersuchung alles gut ausgegangen ist. Mir fällt ein Stein vom Herzen. “Ich hab Dich lieb”, platzt aus mir raus. “Und ich Dich erst. Noch viel viel mehr”, antwortet sie. Mein Herz hüpft und ich bekomme feuchte Augen.
Die Liebe habe ich heute nicht gefunden. Sie mich.

Foto: Jean Claude Castor